Kaufrauschengel
Ab und an profiliert sich Alexander ja gerne wissenschaftlich. So auch jetzt, wo die Weihnachtsgelder und 13. Gehälter - welche wie auf dem Konto fanden - fast schon wieder aus-gegeben sind. Mindestens stark angeknabbert wie Christrollen.
Wissenschaftlich gesehen beherrscht jetzt Kaufrausch die Zeit," tönte Alexander und fuhr beeindruckend fort, dass der Mensch in den Zeiten seiner gegenwärtigen Hetze durch die Kaufhallen, Kaufhäuser, Kaufhöfe, Kaufdielen, Kaufzimmer und Kaufecken, verfolgt von Kauffrauen. Kaufmännern, dass dieser Mensch von zerebralen Endorphin-Ausschüttungen heimgesucht werde. Eben in Rausch gerate.
„Seine dadurch verminderte Steuerungsfähigkeit führt zum unbeabsichtigten Erwerb von Konsumgütern“, posaunte Alexander, „Sachen, die man gar nicht benötigt“. Der Mensch kauft zu Weihnachten ohne Absicht. Kaufrausch prägt zu einer egomanen Persönlichkeit."
Alexander hatte natürlich ein Gegenüber sein Weib. Sonst hätte er ja nicht so wichtig predigen müssen. Und sein Weib hatte einen Einwand.
„Aber ich kaufe doch gar nichts für mich", protestierte sie, „ich kaufe doch nicht für mich, was ich brauche. Ich kaufe Geschenke - für andere! Das führt doch zu keinem Kaufrausch. Das geht doch ohne diese zelebaralen – Dingsda“. Wahrscheinlich wollte Maria keine egomane Persönlichkeit sein. Oder Maria wusste nur ungenau, was egoman war und wollte deshalb erst recht nicht sein, was sie nicht ganz genau kannte. Sie protestierte.
„Schenken ist doch ein Bedürfnis der Liebe, der Zuwendung Und ich schenke gerne mit Absicht. Verdammt noch mal!"
Da Alexander sich nicht gern unterbrechen lässt und schon gar nicht anzweifeln, lief er zur Höchstform auf. „Auch Altruismus führt zu Kaufrausch - aus uneigennütziger Liebe kauft der Mensch Geschenke, die dann eben andere gar nicht benötigen“. Und Alexander verlor sich in einer Rede über den unerheblichen Unterschied zwischen absichtlichem und unabsichtlichem Kauf von Konsumgütern. Und darüber, dass nur zwei Dinge dagegen helfen: Psychotherapie. Oder - viel billiger - Sperrung der Kreditkarte.
Der Abend ging nicht zu Ende, wie er sollte: Adventlich. Doch ganz sicher führt auch Alexander und Marias Advent zum Heiligen Abend in zwölf Tagen. Und da wird Alexander etwas von seinem Weib geschenkt bekommen, dass sie für ihn gekauft hat: Alle seine bisherigen zwölf Autos in niedlichsten Modellen. Seine erste Studentenkarre und sein letzter Schlitten. Lange hat sie sie zusammengesucht, seine Frau. Alexander wird Rührung empfinden. Vielleicht feuchten seine Augen sogar. „Mein Engel!" wird er dann wohl zu seinem Weib sagen, .mein Engel".
Ich bin bei Alexander Heilig Abend zum Heringssalat eingeladen. Ich werde ihn auf den Kaufrausch ansprechen. Beziehungsweise auf seine Frau, den Kaufrauschengel. Oder ich lasse es lieber. Denn ich kenne natürlich den Grund, weswegen Alexander heute noch so wettert gegen Kaufräusche: Er hat keine Ahnung, was er selbst schenken soll. Im Grunde sehnt er sich nach den zerebralen Endorphin-Ausschüttungen. Denn Weihnachtsgeld hat er ja. Als Lehrer.
12. Dezember .2000